Luaverde: Portugal literarisch entdecken

Romane, Erzählungen und Tagebücher sind Reiselektüre anderer Art. Diese hier versprechen zugleich Lesegenuss.
 

"Mein" Lissabon

Merian Momente LissabonEin kleiner Exkurs: Ich lese sehr selten klassische Reiselektüre. Meine Annäherung an Städte erfolgt anders, in der Ewigen Stadt z.B. mit den wundervollen "Spaziergängen in Rom" von Marco Lodoli. Ich möchte einer Stadt wie einem Menschen begegnen: mit meinen eigenen Augen, unbefangen, unvoreingenommen, ohne bereits ein Übermaß an Bildern und Informationen im Kopf zu haben. Eine solche Haltung macht es nicht leicht, einen Reisebegleiter für andere Reisende zu schreiben. Zum Glück gab es aber bei Travel House Media als Vorgabe für den "Merian momente" ein sehr gutes Konzept, das der Individualität viel Raum gibt, und einen ganz wunderbaren Redakteur, Richard Schmising, dem mein großer Dank gilt. Und: es hat Spaß gemacht, Lissabon auf diese Weise neu zu entdecken.

Simone Klein: Merian momente Lissabon, Travel House Media, 2014, ISBN 978-3-8342-1659-5
 

 

Eine seetüchtige Stadt

Literaturtipp: José Cardoso PiresDieses Buch von José Cardoso Pires macht Lust, sofort nach Lissabon zu fahren. Es ist eine letzte Liebeserklärung des Schriftstellers an seine Stadt, an ihre Dichter, Trunkenbolde, Kneipen, U-Bahn-Stationen, an das Straßenpflaster Lissabons und an verschwiegene Plätze. Für Pires war sie nicht nur die Stadt des Lichts, sondern auch eine Stadt, bereit in See zu stechen. Das Logbuch ist ein wunderbarer Begleiter, geschrieben von einem Mann, der Lissabon geliebt und seine Geliebte jeden Tag aufs Neue mit wachem, zärtlichem und auch verschmitztem Blick angeschaut hat.

José Cardoso Pires: Lissabonner Logbuch. Stimmen, Blicke, Erinnerungen. Carl Hanser Verlag, ISBN 3-446-19162-3



Fast ein Jahrhundert entfernt


Literaturtipp: Reinhold SchneiderDiese Reise durch Portugal wurde zu einer Zeit unternommen, als es organisiertes Reisen im Stil des Massentourismus noch gar nicht gab. Reinhold Schneider reiste 1928 von Porto aus über Lissabon nach Evora. In seinem Tagebuch hielt der Schriftsteller, der 1956 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, Begegnungen, Beobachtungen und Eindrücke fest. Ein äußerst subjektives Dokument, in das Schneider Historie und Kulturgeschichte des Landes eingewebt und reflektiert hat. Im Herbst 1956 besuchte Schneider Portugal ein zweites Mal. Diese Eindrücke ergänzen in der Neuerscheinung von 1984 die Aufzeichnungen von 1928. Wenn man sie heute liest, blickt man zurück in eine andere, ferne Zeit.
Reinhold Schneider: Ein Reisetagebuch. Suhrkamp Taschenbuch 1984, ISBN 3-518-37573-3

Hoffnung im Alentejo

Literaturtipp: José SaramagoEines der Meisterwerke von José Saramago. Es beschreibt das Leben einer Landarbeiterfamilie von 1926 bis 1974. Ein bitteres Porträt Portugals aus der Zeit der Diktatur, der extremen Kluft zwischen Großgrundbesitzern und Tagelöhnern, des Bündnisses zwischen Kirche und Macht. Saramago beschreibt dieses Szenario ohne Pathos, aber mit der ihm eigenen Bildmagie und aus der Perspektive der Unterdrückten. Beeindruckend ist die Schilderung der Folterszene im Gefängnis der Geheimpolizei Pide, sehr langsam und detailliert beschrieben aus der Sicht einer Ameise. Gefoltert wurde, weil die Tagelöhner für einen etwas höheren Hungerlohn gestreikt hatten. Saramago hat mit "Hoffnung im Alentejo" ein Stück Geschichte von unten geschrieben, eines, das zum tieferen Verständnis Portugals beiträgt. Und das in einer großartigen Sprache.
José Saramago: Hoffnung im Alentejo. Rowohlt Taschenbuch 1987, ISBN 3-499-22302-3

Schweigen und Tabus


Literaturtippp: Lidia JorgeFür "Die Decke des Soldaten" wurde Lídia Jorge unter anderem mit dem Preis des portugiesischen Pen-Clubs, dem Dom Dinis-Preis und dem Máxima de Literatura-Preis geehrt. Der Roman porträtiert eine Bauernfamilie im Algarve von den 1940er bis in die 1970er Jahre hinein, eingeschnürt in ein Korsett aus Verhaltensregeln, Tabus und Schweigen. Lídia Jorge beobachtet den Patriarchen und seine Familie, die Söhne, die nach und nach den Hof verlassen und in die Neue Welt auswandern, und damit dem jüngsten Bruder Walter folgen. Er gilt als Frauenheld, rebelliert gegen den harten Vater und bricht als erster auf in ferne Länder. Der einzige Sohn, der auf dem Hof bleiben wird, heiratet die junge Maria Ema, die von Walter schwanger ist. Die Tochter soll niemals erfahren, dass Walter ihr Vater ist. Doch sie weiss es die ganze Zeit und konstruiert sich aus den wundervollen Vogel-Zeichnungen, die Walter aus aller Welt schickt, ein Bild von ihm. Und dann kommt er zurück und sucht heimlich in einer Regennacht seine "Nichte" auf. Lídia Jorge hat hier ein Werk von faszinierender Intensität geschrieben, das der Langsamkeit bedarf, um die tragische Dimension der in ihrem Schweigen erstarrten Personen vollends zu enthüllen. Es ist die Macht des Schweigens und der Tabus, die scheinbar Familien zusammenhält. Doch zugleich bewirkt dieses Schweigen eine emotionale Erstarrung. Und alles, was wichtig wäre, bleibt ungesagt.
Lídia Jorge: Die Decke des Soldaten. Suhrkamp 2000, ISBN 3-518-41183-7


Eugenio de AndradeSchrift der Erde: Der Dichter Eugenio de Andrade

Seine Dichtung hat etwas so Leuchtendes, dass sie auch über seinen Tod weit hinaus strahlen wird. Selbst die Dunkelheit schenkt in den Gedichten von Eugenio de Andrade noch Licht und Wärme. Seine Gedichte sind aus Erde gemacht, aus Licht, Wellen, Wasser, aus dem, was er berührt, ertastet, erspürt hat. So hat er die Beschaffenheit eines geliebten Körpers ertastet, die der Wörter, die von Früchten und Vögeln, und letztlich auch die Beschaffenheit des Todes. Am 13. Juni 2005 ist Eugenio de Andrade im Alter von 82 Jahren in seinem Haus mit Blick auf den Douro gestorben, an Herzversagen, gegen 4 Uhr morgens. "An einem Morgen im Juni werde ich gehen, das letzte Mal. Gehen, ohne zu wissen, wohin die Straße führt." Dies schrieb er in "Materia Solar" (1980). Eine Auswahl seiner zwischen 1948 und 1995 publizierten Gedichte wurde 1997 vom Carl Hanser Verlag veröffentlicht.

Eugenio de Andrade: Stilleben mit Früchten. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Portugiesischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Curt Meyer-Clason. Carl Hanser Verlag 1997, ISBN 3-446-19096-1

 

Reiseführer LissabonReiseführer und Reiseinformationen:

Aktuelle Informationen und Wissenswertes für Ihren Portugalaufenthalt finden Sie auf der Website von Johannes Beck, der die beiden Reiseführer "Lissabon und Umgebung" und "Lissabon" (Michael Müller Verlag) geschrieben hat.


 


Die Bildleiste oben zeigt:

den Torre de Belem, Lissabon, © Antonio Sacchetti
Castelo de Vide, © Jo
ão Paulo
Azenhas do Mar, © José Manuel
Mandelblüte im Algarve, © RTA und
das Kloster São Vicente de Fora, Lissabon, © José Manuel