Luaverde-Porträt

Amália Rodrigues
Die unvergängliche Stimme

Mit einem Blumenmeer und Tränen in den Augen nahmen die Portugiesen im Oktober 1999 Abschied von ihrer Königin Amália Rodrigues. Portugal hatte seine Stimme verloren. Die Stimme seiner größten Fado-Sängerin. Mit ihrer warmen, an Konturen so reichen Stimme hatte sie die Lieder vom Abschiednehmen, von der Sehnsucht, der Saudade, von der Zärtlichkeit und von der verlorenen Liebe gesungen. Rund 50 Jahre lang war Amália die Stimme Portugals gewesen. Für die Portugiesen, deren Gefühle und Träume sie wie keine andere verköprerte. Und für die Menschen im Ausland, denen sie als künstlerische Botschafterin den Fado offenbahrt hatte. Zu einer Zeit als Portugal noch von der Diktatur beherrscht wurde und angesichts des Festhaltens an seiner Kolonialpolitik international weitgehend isoliert war. Ein armes Land, das von einer ausdrucksstarken und melancholisch schönen Künstlerin repräsentiert wurde.

Nach der Nelkenrevolution im April 1974 wurde Amália Rodrigues die Kollaboration mit dem Salazar-Regime zum Vorwurf gemacht. Mehr noch wurde sie verdächtigt, der Geheimpolizei PIDE angehört zu haben. "Damals identifizierten einige den Fado mit dieser geschichtlichen Epoche und Amália galt als Stimme dieser Zeit. Dies ist nur mehr eine Dummheit, eine demagogische Vereinfachung", schrieb die spanische Tageszeitung "El Mundo" anlässlich des Todes der großen Fadista. Als gesichert gilt dagegen, dass Amália Rodrigues Angehörige der kommunistischen PCP, die zur Salazar-Zeit in den Untergrund gegangen waren, finanziell unterstützte. So hatte die PCP-Politikerin Alda Nogueira, die in dieser Zeit oft inhaftiert war, bereits im Juli 1995 gegenüber dem Magazin des "Público" berichtet: "Als ich im Untergrund lebte, klopfte ich einmal an die Tür von Amália Rodrigues, die damals bereits ein Star war, und ich bat sie um Unterstützung. Sie öffnete den Safe und gab mir alles darin befindliche Geld."

Sie wußte, was arm sein bedeutet

Alda Nogueira und Amália Rodrigues kannten sich seit langem. Sie waren im gleichen Stadtteil aufgewachsen, benutzten oft die gleichen Straßenbahnen, nur dass Alda zum Gymnasium fuhr, Amália hingegen zur Ribeira, zum Markt am Ufer des Tejo, wo sie Obst kaufte, das sie dann im Stadtteil Alcântara verkaufte. Was Armut hieß, wusste sie, die davon später im Fado gesungen hat, nur zu gut. Nicht einmal ihr genaues Geburtsdatum ist bekannt. Im Pass war der 23. Juni 1920 eingetragen, Amália bevorzugte den 1. Juli. Ihre Eltern waren aus der kargen Bergregion Beira-Baixa nach Lissabon gekommen, um hier ein besseres Leben zu finden. Sie fanden es nicht, kehrten zurück, ließen aber die vier Monate alte Amália bei den Grosseltern mütterlicherseits in Lissabon zurück. Erst als Amália 14 Jahre alt war, lebte sie wieder mit ihren Eltern und den Geschwistern in Lissabon. Ihr Biograph Vitor Pavao dos Santos schreibt über Amálias Kindheit: "Sie war ein trauriges Kind, das nur wenig Zärtlichkeit bekam." Erst im Alter von neun Jahren besuchte sie die Grundschule, die sie drei Jahre später mit einem Abschlusszeugnis verließ. Sie sei eine gute Schülerin gewesen, schreibt ihr Biograph. Doch für den Besuch einer weiterführenden Schule reichte das Geld nicht. Im Alter von 15 Jahren ging Amália bereits mit ihrer Mutter und der zwei Jahre jüngeren Schwester täglich zum Cais da Rocha, um Früchte zu verkaufen. Einige Zeit arbeitete sie als Büglerin, für einen Lohn von zwei Escudo (umgerechnet zwei Pfennig) pro Tag. Ein armes Mädchen, dessen einziger Luxus das Kino war, das seinen Träumen Nahrung gab.

Schon mit 15 Jahren erlangte Amália in ihrem Stadtviertel Alcântara einigen Ruhm als Fadosängerin. Mit 18 Jahren nahm sie an dem Gesangswettbewerb der Academia de Santo Amaro teil. Die Jury war beeindruckt, doch die Konkurrenz blockierte erfolgreich die Preisvergabe an eine junge Frau, deren Mutter eine einfache Markthändlerin war. Dennoch: Amálias Karriere war unaufhaltbar, dank einer Stimme und eines Ausdrucksvermögens, das einzigartig war. Mit ihrer Stimme sang sie den Portugiesen aus der Seele.


Auch Anthony Quinn gehörte zu ihren Bewunderern

Egal, ob Amália in Spelunken oder Konzertsälen auftrat, sie zog das Publikum an. Mit einer Stimme, die das lebte, was sie sang, die im Fado aufging und vollends erblühte. Eine andere Welt entstand, die Welt des Fado und der Poesie. Fado, das ist jener Gesang, dessen Ursprung wahrscheinlich von "Fatum" abstammt, dem lateinischen Begriff für Schicksal, Bestimmung.

Über die Ursprünge des Fado gibt es mehr Spekulationen als gesicherte Erkenntnisse. Verbreitet hat er sich aber offensichtlich bis zum 20. Jahrhundert eher im Milieu von Prostituierten, Seefahrern und armen Leuten. Sie drückten in ihm ihren Schmerz und ihre Verzweiflung aus, nachts in schäbigen, dunklen Bars. Darin gleicht er dem Blues der Schwarzen Amerikas. Im 20. Jahrhundert wurde der Fado gesellschaftsfähig. Mit Amália aber erneuerte sich diese Kunstform. Der Komponist Alain Oulman vertonte eigens für sie Gedichte von David Mourão-Ferreira und Alexandre Herculano.

Und mit Amália zog der Fado in die Welt hinaus, auf die großen Konzertbühnen. Ihre ersten Auftritte im Ausland hatte sie 1943 in Spanien und ein Jahr später in Brasilien, wo sie auch ihre erste Schallplatte aufnahm: "Discos Continental". 1954 trat sie in Hollywood auf. Ihre Ausdrucksfähigkeit war so groß, dass selbst jene, die die Texte nicht verstanden, erfassten, wovon sie sang. Zu Amálias Bewunderern gehörte auch Anthony Quinn, der zu ihrem Staatsbegräbnis einen Strauss Ringelblumen nach Lissabon schickte. Schliesslich waren diese kleinen leuchtend gelben und orangenen Wiesenblumen ihre Lieblingsblumen.

24 Stunden nach Amálias Tod waren alle ihre Aufnahmen in Portugal vergriffen. Die Menschen versuchten sich auf ihre Weise die Stimme zu erhalten, die sich am 6. Oktober 1999 ganz leise verabschiedet hatte. Amália Rodrigues starb, während sie schlief, an Herzversagen. Doch ganz und gar wird ihre Stimme nicht sterben, denn hören kann man sie ja immer noch. Ein alter Mann hat den Verlust so beschrieben: "Ja, wir können weinen, aber weinen wie sie, singend, das kann niemand."



Amália Rodrigues wurde auf dem Friedhof Prazeres bestattet. Am 9. Juli 2001 wurde ihr Sarg in den Pantheon überführt, eine letzte Ehrung Portugals für die Diva des Fado. Dort ist sie bestattet, umgeben ausschließlich von Männern - Dichtern und wichtigen Persönlichkeiten der Republik.

In ihrer Wohnung in der Rua de São Bento Nr. 193 ist das empfehlenswerte "Museum Amália Rodrigues" untergebracht. In kleinen Führungen kann man hier sehen, wie die Diva gewohnt hat. Ein intimer Einblick in die Wohnkultur der gehobenen portugiesischen Gesellschaft.

Für die Bilder auf dieser Seite danken wir dem Instituto Camões, www.instituto-camoes.pt